32 Sonaten an acht Abenden – Igor Levit in Düsseldorf

Nach über zehn Jahren erklingen in Düsseldorf wieder alle Beethoven-Klaviersonaten aus einer Hand. Igor Levit, der in allen großen Sälen weltweit zu Gast ist und seit fünf Jahren regelmäßig als Solist in der Tonhalle auftritt, schenkt Düsseldorf die Erstausgabe seines Beethoven-Zyklus! An acht Abenden kann einem der wichtigsten deutschen Pianisten bei der Erkundung des deutschen Kernrepertoires zugehört werden. Levit ist ein Ausnahmepianist. Bereits mit drei Jahren spielte Levit Klavier, unterrichtet wurde er von seiner Mutter. Im Alter von acht Jahren übersiedelte er mit seiner Familie von Nizhni Nowgrood nach Deutschland. Sein Studium absolvierte er an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Musikjournalistin Eleonore Büning bescheinigte ihm 2010 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung, schon vor dem Examen, „einer der großen Pianisten dieses Jahrhunderts“ zu sein.

Auszug aus dem Programmheft:
Das ist das Leben – Igor Levit über seinen Beethoven- Zyklus

Herr Levit, zum ersten Mal sämtliche Sonaten Ludwig van Beethovens als Zyklus: Sind die acht Konzerte für Sie Business as usual oder eine Bergetappe mit ungewissem Ausgang?

Business as usual ist nichts, und das schon gar nicht. Es ist definitiv eine Reise mit ungewissem Ausgang. Diesen Zyklus zu spielen ist etwas sehr Besonderes, ein Abenteuer für uns alle, und am Ende sprechen wir uns noch mal!
Der Pianist Louis Kentner hat einmal gesagt, dass er, wenn ein Marsmensch sich von ihm ein Zeugnis der Zivilisation auf der Erde wünschte, er ihm die Beethoven-Sonaten mitgeben würde.

Was für ein Bild von uns Erdbewohnern würde dieser Marsmensch mitnehmen?

Das Bild eines sehr sehr komplexen Wesens. Liebevoll, wütend, froh, lachend, sich lustig machend, alles. Ein Störenfried, Poltergeist, Engel, Kind, Erwachsener, Greis. Die Sonaten sind ein menschliches Erzeugnis sondergleichen, ein Juwel, verstörend und irritierend.

Sind es eher die Facetten des Menschen Beethoven oder des Menschseins im Allgemeinen?

Es sind auch meine Facetten. Ich kann überhaupt keine Musik machen, wenn sie mir nicht entspricht. Insofern spreche ich von Facetten, die zu uns allen gehören, und so auch zu mir. Was Beethoven betrifft: Jede dieser Sonaten ist ein Dokument seines Lebens. Er hat übersetzt, was er gesehen hat, was er gedacht hat. Das Übermenschliche, was viele hier auch sehen wollen, finde ich zweitrangig. Es ist das erlebt Menschliche. Du gehst aus dem Haus, du siehst etwas, du empfindest, du lebst. . Es ist breit, es stört, es hilft, es reibt.

Blicken wir ein wenig auf die Geschichte. Hat Beethoven mit seinem Zyklus Form und Idee der Sonate ausgeschöpft und sie – trotz aller Sonaten, die nach ihm kamen – schon zu einem Endpunkt gebracht?

Beethoven hat keinen Schlusspunkt gesetzt. Mit op. 111 wird eine Tür aufgemacht in die Freiheit, es ist ein leichter, leiser Schluss voller Luft und  Atem, kein Abschluss. Beethovens Zyklus ist ungeheuer perspektivisch, aber nicht der Schlusspunkt der Sonate. Denken Sie an Schubert, Brahms, Schumann, Skrjabin, Berio…

Als Interpret sind Sie sich der Form und Gestalt jeder einzelnen Sonate sehr bewusst. Wie wichtig ist solch ein Bewusstsein für auch für den Hörer?

Der Blick auf Formen ist wichtig, aber nicht essentiell. Essentiell ist das Hier und Jetzt, das Füreinander und Miteinander im Saal oder auch zu Hause. Ich spiele ein Programm XY, und darin verpackt sind meine Erfahrungen und das, was ich erlebe – und das teile ich mit dem Publikum. Die Leute sitzen dann da in langen Reihen, man kennt sich kaum untereinander, jeder hat seine eigene Geschichte und sein eigenes Erleben… So entstehen immer wieder neue, unwiederholbare Momente.

Gibt dieses gegenwärtige Erleben auch Raum für interpretatorische Freiheiten?

Selbstverständlich. Diese Situation ist das Essentielle. Nicht das Programmheft, in dem alles Wissenswerte über die Musik steht. Das ist auch wichtig und relevant, aber nicht essentiell. Und letztlich steht ja in allen Programmheften ohnehin das gleiche, nur anders formuliert.

Die Nachfrage nach Texten zur Musik ist aber nach wie vor groß, und sie nehmen der Musik ja nichts weg…

Finden Sie? Wenn jemand sagt, Schostakowitsch kann man nur spielen im Wissen um sein Schicksal, z.B. dass er 1936 ins Visier Stalins geriet, finden Sie nicht, dass dann der Musik etwas weggenommen wird? Oder wenn man
– Beispiel Beethoven – immer wieder serviert bekommt, Beethoven habe dieses oder jenes Stück zur Zeit seines Heiligenstädter Testaments geschrieben, und man stelle sich doch mal vor, was da in seiner Seele vorging… Und dann sitzt man im Saal und hört in der Musik etwas ganz anderes – da hat das Vorwissen den Horizont doch eher eingeschränkt und der Musik etwas weggenommen. Es geht doch darum, wie man mit den Informationen umgeht, und welchen Wissens- und Erfahrungsstand der Hörer hat. Das kann sowohl Türen aufmachen als vielleicht auch welche verschließen. D’accord. Ich muss aber meine Gilde auch davor schützen, dass die Musik etwas Dekorativem oder zu Anschauungsunterricht verkommt. Für mich ist alles Wissen essentiell, aber nicht für die Außendarstellung.

Für Sie haben Beethovens Sonaten viel mit Ihrem Leben zu tun. Nun haben Sie auch Ihre ganz eigene Dramaturgie des Zyklus im Hinblick auf die Reihenfolge der Sonaten gemacht. Die letzten sechs kommen chronologisch, und im sechsten Konzert versammeln sich die mittleren „Fantasiesonaten“. Wie kam es zum Programm der ersten fünf Konzerte?

Ich bin immer vom Ende aus da herangegangen: Mit welcher Sonate möchte ich das Konzert beschließen? Dann habe ich mich nach „oben“ vorgearbeitet. Was funktioniert, was kommuniziert miteinander, wo sind emotionale Zusammenhänge? Die reine Chronologie interessiert mich nicht – nur die letzten Sonaten sollten zusammen gespielt werden. Da gibt es ab op. 90 einen so großen Bruch in der Entwicklung!

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